Politik ohne Jugend

Schleswig-Holstein wartet nur darauf von jungen, grünen Menschen abgeholt zu werden. Diese Erfahrung habe ich im letzten halben Jahr häufiger gemacht. In Diskussionen im Wahlkampf, sprich an direkt erkennbaren Orten unserer Partei, aber auch in Situationen, in denen ich nicht direkt als Grüner zu erkennen war, habe ich bei der Generation 25- häufig offene Türen eingerannt. Diese Türen musste ich häufig nur erst schaffen. 

Themen, die in den Medien behandelt werden kommen nicht verständlich und ausreichend erklärt bei den vor allen jungen Rezipient*innen an. Für mich, der seine Informationen zum größten Teil aus dem öffentlich rechtlichen Medien und Onlineangeboten der Tageszeitungen und Wochenmagazinen entnimmt war das neu. Bei mir laufen ständig Nachrichten, Talkshows und andere politische und informative Formate. Teilweise auch nur im Hintergrund. Durch diesen dauerhaften Informationsbedarf und die vielfältigen Anbieter kann ich mir leicht eine Meinung bilden und Sachthemen verstehen.

Dieses Unwissen oder Halbwissen der jungen Leute zeugt allerdings nicht, wie im gesellschaftlich Konsens geglaubt wird, von fehlenden Interesse an den Themen der Politik und Gesellschaft. Vielmehr zeugt es von nicht ausreichenden, bzw. nicht zeitgemäßen Erklärungen zu diesen Themen. Wenn man Sachzusammenhänge darstellt, wenn man Halbwissen aufgreift und weiterführt, dann merkt man das entsprechende Interesse der Gen Y und Millenials.

Der Erfolg von Formaten, wie INFORMR zur Bundestagswahl (und zum Glück auch darüber hinaus) zeigt, dass mit ansprechenden Formaten und knappen, prägnanten Statements die Begeisterung für Politik und eine demokratische Debatte auch bei den Erst- und Jungwähler*innen vorhanden ist. Der Mut zu neuen Ideen ist in der aktuellen politischen Landschaft leider sehr gering. Dieser Mut muss als Chance begriffen werden. Dies bedarf einem langen Lernprozess, der möglichst schnell angestoßen werden sollte. Denn ansonsten werden sich diese Generationen immer weiter und immer zahlreicher von der Politik entfernen.

Zu diesem Mut und frischen Inhalten gehört auch, dass wir uns als Grüne und auch die Politik als solches verjüngen muss. Es ist ein heftiger Schlag in den Kontor, dass von 709 Abgeordnet*innen im neuen Bundestag gerade einmal 5 unter 30 Jahren sind. Es ist auch ein klares Statement an junge Menschen, dass sie der aktuellen Politik egal sind. Das Problem: man kann sich nicht zum einen über die politikferne Jugend beschweren und sie dann so ignorieren. Denn man glaubt es kaum, es gibt auch in Deutschland mehr als 5 Politiker*innen unter 30.

Die Tatsache, dass viele Themen nicht zu den jungen Menschen durchdringen sollte uns schnell dazu führen, etwas an diesem Missstand ändern zu wollen. Einfachster Schritt wäre ein verpflichtender Politikunterricht ab Klasse 5. Wer hier anfängt unsere Demokratie zu erklären, kann in den späteren Jahren die Zeit damit verbringen tagesaktuelle Themen zu behandeln und anspruchsvolle Diskussionen zu führen. Wer in Klasse 10 erst anfängt die Basics zu lehren, der wird in den verbleibenden Jahren der Schullaufbahn nur noch die wenigsten erreichen.

Aber auch außerhalb der Schule muss die Gesellschaft mehr politische Bildung betreiben. Das Angebot von Kreisjugendringen, Jugendvertretungen und anderen geeigneten Vereinen, Verbänden, Projekten und Stiftungen muss massiv ausgebaut werden. Und in Kooperation mit den Schulen auch Schüler*innen erreichen, die nicht von sich aus politisch aktiv geworden wären.

Zurück zu Schleswig-Holstein. Das Ergebnis der U18-Wahl in Schleswig-Holstein stimmt mich als Grüner sehr positiv. Wir haben bei dieser 18% erreicht und konnten hinter der CDU zweitstärkste Kraft werden. Das heißt, wenn wir uns nicht zu doof anstellen, dann können wir in Zukunft unsere guten Ergebnisse sogar noch verbessern. Das wird allerdings nichts, wenn wir die jungen Wähler*innen ignorieren. Auch die Listen und Strukturen der Grünen lassen Raum für Verjüngung. Und dafür werde ich vor allem in meiner Partei im kommenden Jahr als Landesvorsitzender der „Grünen Jugend“ werben und kämpfen.

Mehr Europa – weniger Probleme

Wir leben in goldenen Zeiten. Unser Wohlstand wächst, unsere Sicherheit steigt entgegen der aktuellen Stimmung auch. Wer allerdings den gemeinen Deutschen fragt bekommt zu hören, dass es ihm persönlich gut gehe, er aber das Gefühl habe, dass es mit Deutschland/Europa/der Welt bergab ginge. Dieses Paradoxon wird von Rechtspopulisten gerne ausgenutzt und mit weiteren irrationalen Ängsten gefüttert. Filterblasen und die „Immer dagegen Haltung“ vieler verstärkt das Anti-Establishment-Lager. 

Dabei bekommen genau diese Personen durch Trump und Brexit vor Augen geführt, was ihre Haltung bewirkt und wo es uns hinbringen kann. Man freut sich aufgrund der inzwischen geringen Erwartungshaltung, wenn der POTUS auf Auslandsreisen weiß in welchem Land er sich befindet und bei Reden vor den Staatsmännern nicht die komplette Herkunft und Religion jener beschimpft. Er ist halt kein Politiker der Elite, er pfeift auf political correctnes und ihn interessieren diplomatische Gepflogenheiten nicht. Unter anderem diese Attribute haben ihn zum Wahlsieg verholfen. Doch will man so sein Land repräsentiert wissen? Will man Milliarden verlieren, nur weil ein Mann im geistigen Alter eines Kindergartenkindes meint, dass seine Sandburg die Schönste ist? Ich habe die Hoffnung, dass auch diese Leute erkannt haben: Lieber ein scheinbar unnahbarer Politiker, als ein Reality-Star, der permanent eigene Interessen über die Interessen des Landes stellt. Die Umfragewerte von Donald Trump lassen diese Hoffnung zumindest nicht im Keim ersticken. 

Bei uns führt diese unsichere Außenwelt zu steigenden Muttigefühlen. Das liegt auch an dem offensiveren und aktiveren Kurs, den Merkel neuerdings fährt. „Wir Europäer müssen unser Schicksal in unsere eigene Hand nehmen.“ Ein Satz, der so nicht unbedingt von unserer Kanzlerin zu erwarten war. Dennoch werde ich das Gefühl nicht los, dass es sich bei dieser starken Forderung lediglich um den Startschuss des Wahlkampfs der Unionsparteien handelt. Wer diese Forderung nach dem Wahlkampf umgesetzt sehen will, muss für eine grüne Regierungsbeteiligung unter einem Kanzler Schulz kämpfen. Denn in dieser Forderung steckt nicht nur Sprengkraft für das angeschlagene transatlantische Bündnis. Vielmehr handelt es sich um den nächsten logischen Schritt der europäischen Integration. 

Gewiss sollten wir nicht die Nachfolge der als Weltpolizei gescheiterten USA einnehmen. Aber EIN gemeinsamer EU-Außenminister (der diesen Namen auch verdient), sowie eine gemeinsame europäische Verteidigungsarbeit und die damit einhergehende stärkere Verantwortung auf dem Globus würden uns sehr gut stehen. Und den amerikanischen Schatten kleiner machen. Emmanuel Macron, unser neuer Freund in der linken Herzkammer Europas, arbeitet genau auf diese Ziele hin und dabei sollte wir ihn mit allen Mitteln und Kräften unterstützen. Ein von Frankreich geführtes Integrations-Projekt, das zugleich ein stärkeres europäisches Deutschland schafft würde unserem Kontinent einen entscheidenden Impuls geben, ausgehend von dem parallel schlagenden Herz der EU. 

Ob dies mit einer Kanzlerin Merkel und dem Schwarze-Null-Fetischisten Schäuble möglich ist, bezweifle ich sehr stark. Die Durchsetzungsmöglichkeiten sehe ich, zum Beispiel für einen gemeinsamen Finanzminister der Eurozone, bei einer Rot-Grünen Koalition am größten. Da rechnerisch daran (leider) im Moment nicht zu denken ist bräuchte es eine Ampel oder R2G (Rot-Rot-Grün).

Grafik ist per Klick vergößerbar!

Fazit: Unabhängig von möglichen Koalitionen, müssen die Grünen mit diesen Forderungen in den Wahlkampf ziehen. Denn Europa wird ein größeres Thema in den kommenden Monaten. Und dass ein Pro-Europa Wahlkampf zieht, hat uns „En Marche“ in Frankreich gezeigt.

Grün vor Blau! Sonst grau…

Aktuelle Umfragen zum Bundestag sehen die Alternative für Deutschland (AfD) vor dem Bündnis 90/die Grünen, zumindest gleich auf. Zum Glück sind bis zu den Bundestagswahlen im kommenden Herbst noch viele Wahlkampf-Monate zu gehen. Denn wenn man die möglichen Koalitionen betrachtet, liegt nur ein weiter so im Bereich des Möglichen. Sprich die #GroKo mit einer Kanzlerin Merkel in der vierten Legislaturperiode kann das Land weiter einschläfern. Wie gefährlich eine ewige große Koalition ist, können wir in unserem Nachbarland Österreich sehen. 

Dort ist eine Koalition aus Christ- und Sozialdemokraten schon Gewohnheit. Daraus resultieren eine riesige Politikverdrossenheit und eine starke rechtskonservative Opposition. Im Fall unser Schnitzel-Erfinder heißt diese FPÖ, vielen bekannt durch den Präsidentschaftskanidaten Hofer. Auch wir haben in den vergangen Jahren dieses Jahrtausends zwei große Koalitionen, sowie eine konservativ-liberale und eine sozial-grüne Regierung gehabt. Das Farbenspiel war recht simpel. Es gab die beiden Volksparteien, die mit Abstand größte Fraktion der Union und die zweitstärkste Fraktion der SPD. Danach folgten Grüne, FDP und Linke in prozentualen Dreiklang.

Es war klar, wer für was steht und welche drei Koalitionen möglich sind. Zum einen die Union mit der postengeilen FDP, die große Koalition mit den größtmöglichen Kompromissen und die rot-(rot)-grüne Luftschlossidee. Doch in den letzten Jahren hat sich diese simple Begebenheit leider verabschiedet. Die SPD ist konservativer geworden, die CDU sozialer und grüner. Die Grünen wurden leiser, man kann auch von realitätsnäher sprechen. Die Linken haben sich selbst zerlegt und die Wähler haben begriffen, dass die FDP nur eine Lobbyvertretung ist. Rundum sind alle Parteien in die Mitte gerückt. Klare, vielleicht auch unbequeme Positionen werden von den wenigsten Politikern und schon gar nicht von Entscheidungsträgern vertreten.

In diesem Einheitsbrei hatte eine Partei, die genau solche Positionen vertritt ein leichtes Spiel. Auch wenn sie noch so streitbar sind, Argumente, die zu Diskussionen anregen sind das, was unsere im Dornröschen Schlaf befindliche Demokratie brauchte. Die Etablierten hatten die Chance Ihre Argumente und Positionen klar herauszustellen. Sich wieder klarer für den Wähler zu positionieren. Die CDU hätte wieder die konservativen Wähler abholen können, die SPD dadurch wieder mehr für den Arbeiter eintreten können.

Leider wurde diese Chance nicht genutzt. Man hat sich noch viel mehr auf einen Nenner geeinigt. Unabhängig davon, dass die AfD auf gar keinen Fall wählbar ist und auch demokratisch eher kritisch zu betrachten ist. Man wird in den Volksparteien (wenn man bei knapp 30 und knapp 20 Prozent noch davon sprechen kann) nicht mehr von den eigenen Werten geleitet, sondern von der Absicht möglichst viele Wähler auf seine Seite zu zerren. Dass dies Sinn und Zwecke einer Wahl ist, ist auch mir bewusst. Nur sollte die oberste Prämisse eines Interessenzusammenschlusses, was Parteien im eigentlichen Sinne sind, nicht sein mit den mehrheitsfähigsten Positionen Wahlkampf zu machen. Vielmehr sollte man versuchen mit seinen Vorstellungen und Ideen die meisten Mitstreiter zu finden.

Denn Wandel und Abwechslung gibt es nur dann. Und eine Demokratie lebt vom Wandel. Sollte es der Mehrheitswille der Bevölkerung sein, eine Partei zu wählen, die offen gegen die aktuelle Situation in Deutschland, die offen gegen unsere Grundwerte propagiert, dann beuge ich mich als Demokrat. Nur glaube ich nicht, dass die Deutschen und vor allem die Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine solche Partei wählen wollen. Ein kommender Bundestag, in dem voraussichtlich sechs Parteien (CDU/CSU, SPD, Grüne, Linke, FDP, AfD) sitzen werden, wird unabhängig von der Einordnung der einzelnen Fraktionen auf dem politischen Spektrum schwerfällig arbeiten und die Regierungsbildung wird eine noch nie da gewesene Herausforderung sein. Wenn zudem Politiker Einzug halten, die auf die bewährten und anerkannten Abläufe pfeifen, die quasi wie ein bockiges Kleinkind in der Ecke sitzen, dann wird Politik aus Sicht der Bürger immer langweiliger. Die Politikverdrossenheit würde durch eine AfD, die nur Parolen schmettert nicht besser.

Dieser Effekt wird auch dann nicht besser, wenn Frau Petry Oppositionsführerin wird (auch wenn der Titel ihr bestimmt gefallen würde). Wir brauchen mehr und nicht weniger Optionen und daher lieber grün wählen. Mit einer starken grünen Fraktion wäre schwarz-grün, die beste Koalition für die aktuelle Lage. Mal sehen, wer dieses mal für wen antritt und viel wichtiger, als der Spitzenkandidat an sich, mit welchen Inhalten er seine Partei vertreten wird.