Was mich persönlich am meisten mitgenommen hat, ist der Fußball. Leider nicht das spielerische, sondern die Fans meines Vereins, dem HSV. Ich bin seit fast fünf Jahren Mitglied in diesem Verein, mit dem ich seit ich denken kann durch dick und (sehr viel) dünn gegangen bin. Diese Tiefs bezogen sich bis zu dieser Woche auf das sportliche, doch zwei Ereignisse haben mich diese Woche auch außerhalb des sportlichen geschockt.
Am Freitag hat der Verein seine neuen Auswärtstrikots präsentiert. Pink-blaues Muster mit der Raute auf der Brust. Stiltechnisch lässt sich bestimmt drüber streiten. Viele fanden es hässlich, einige richtig geil (wie ich auch). Soweit war das nichts neues für mich. Doch diesmal habe ich mir mal die Kommentare unter den Posts dazu durchgelesen. „Haaaa Gay!“ „Nicht schon wieder so ein Transen-Shirt.“ „Sowas kann man zum CSD tragen, aber nicht im Fußballstadion.“ Um ein paar Beispiele zu nennen.
Heute kam dann die Info, dass passend zum CSD in Hamburg der HSV, wie im letzten Jahr, ein Zeichen setzen wird für ein tolerantes Miteinander. Unter anderem mit Regenbogen(eck)fahnen. Ein Aufruf der Fanorganisation auf Facebook, das Interessierte gerne noch bei der Parade der Prideweek mitgehen, bzw. helfen können, wurde natürlich ebenfalls kommentiert. „Das gehört nicht zum Fußball.“ „Langsam nervt das Thema!“ „Der Scheiß passt gut zu den Auswärtstrikots.“ „Toleriert doch mal dass ich sowas nicht toleriere……“ „Wenn es doch so normal ist, warum gibt es nicht mal eine handvoll geouteter Profis?!“
Und von den jeweiligen Seiten (HSV, HSV Supporters Club & FUMS)? Kommt nichts. Die Kommentare bleiben stehen. Kein Hinweis auf eine Nettiquette, darauf, dass solche Kommentare nicht toleriert werden. Fußball, du hast ein verdammtes Problem mit Homo-, Trans- und Interphobie!
Als Mitglied der queeren Community sind solche Kommentare natürlich schmerzhaft, auch wenn man sie gewohnt ist. Was ich dagegen gemacht habe? Bei halbwegs vernünftigen Kommentaren habe ich versucht, eine Diskussion zu starten. Reaktion der Hater*innen? Keine. Das Melden von Kommentaren bei Facebook war ungefähr so effektiv, wie der Versuch, bei diesen Temperaturen nicht ins Schwitzen zu kommen.
Einziger Lichtblick für mich waren viele andere, die, wie ich, versucht haben den Leute aufzuzeigen, dass dieses Thema auch in den Fußball gehört. Dass immer noch Menschen für ihre sexuelle oder geschlechtliche Identität bepöbelt, bespuckt, geschlagen oder getötet werden. Auch in Deutschland. Wenn ein*e Hater*in auf diese Leute reagierte, dann natürlich mit noch mehr Hass und Beleidigungen.
Deswegen ist es wichtig, dass der DFB, die DFL und die Vereine gegen Homo-, Trans- und Interphobie, genauso wie gegen Rassismus und Sexismus eintreten. Aber dafür einmal im Jahr eine oder zwei Regenbogenflaggen zu hissen reicht nicht. Beleidigungen und anderen Vorfällen muss man entschieden entgegentreten. Durch Löschen entsprechender Kommentare in Sozialen Netzwerken oder Stadionverbote. Bitte fangt mal damit an.
WIE ICH MICH SELBST MIT DER FUSSBALL WELTMEISTERSCHAFT BETRÜGE
Für diesen Text muss ich etwas weiter ausholen: Es war die Fußball-WM in Japan und Südkorea im Sommer 2002. Ich war fünf Jahre alt und sammelte mit einer an Ekstase grenzender Begeisterung Panini-Sticker für das entsprechende Sammelalbum. Damals übrigens noch sechs Sticker in einem Päckchen für 50 Cent und nicht fünf für 80 cent, aber das ist eine andere Geschichte. Wirklich etwas von den Spielen ist nicht hängen geblieben, außer dem Tor im Finale von Ronaldo und dem traurigen nach Hause trotten vom Dorfkrug, wo das Finale im eigentlich erst vier Jahre später in Deutschland etablierten Phänomen namens “Public Viewing” verfolgt wurde.
2006 ging die Obsession mit dem Paninialbum übrigens weiter und auch die, diesmal bewusster erlebte Trauer über das vorzeitige Aus der Nationalmannschaft im Halbfinale gegen Bella Italia. 2008 Österreich & Schweiz, ein Paninialbum und Halbfinalaus gegen Spanien, Danke Torres. 2010 Südafrika, ein Paninialbum, ein Halbfinalaus. 2012 EM in Polen und der Ukraine, ein Paninialbum und ein Halbfinalaus. Dann WM 2014 Brasilien, ein Paninialbum und der Titel. 2016 die EM in Frankreich mit dem Halbfinalaus gegen die Gastgeberin lasse ich jetzt mal trotz meines ersten vollständig gefüllten Paninialbums weg.
Was ich damit sagen will ist nicht, dass ich ein Suchtproblem mit Paninialben habe. Diese WM werde ich zum ersten Mal keins anschaffen. Mein Problem ist, dass ich alle zwei Jahre von einem besonders starken Fußballfieber ergriffen werde, obwohl es rational gesehen total deplatziert ist. Eigentlich wäre das mit der guten Stimmung ja auch kein Problem. Über die Jahre ohne sommerliches Großereignis unterstütze ich ja auch mein Team in der Bundesli…, oke nächstes Jahr in der zweiten Liga, ohne größere Probleme mit mir selbst zu haben. Beziehungsweise die Schwierigkeiten dieser Veranstaltungen lassen sich leichter ignorieren
Die Welt- und Europameisterschaften machen das Ignorieren schwieriger. Und das aus ganz vielfältigen Gründen. Ich habe mal versucht vier zentrale Punkte aus meiner Sicht darzustellen:
PROBLEM GASTGEBERLÄNDER
Der Gedanke dieses “Fußballfest” überall mal stattfinden zu lassen mag löblich sein, die Umsetzung ignoriert aber vollständig die politischen Situationen der Länder. Die FIFA mag sich diese Scheuklappen vom IOC und den olympischen Spielen abgeschaut haben, besser wird es dadurch nicht. Südafrika 2010 war rein politisch vielleicht noch zu vertreten, wenn man dafür als Kriterium ein stabile Demokratie, bzw. überhaupt eine Demokratie voraussetzt. Aber die Zustände der Arbeiter*innen beim (Aus-)bau der Stadien war auch hier schon nicht würdig mit einer solchen Veranstaltung belohnt zu werden.
PROBLEM “GEWINNVERSPRECHEN”
Den Ausrichterländern wird eine florierende Veranstaltung versprochen, die auch über die vier Wochen Fußball hinaus einen positiven wirtschaftlichen Effekt auf das Land haben soll. Zumindest der Fußball des Landes soll durch die neuen Stadien und Infrastruktur verbessert werden. Wie die Realität aussieht kann jeder in Südafrika sehen. Der kurze Berichtdes ARD Mittagsmagazin von 2014 reicht eigentlich schon um zu begreifen, dass die Versprechungen nicht mehr, als leere Worte sind. Nach den Weltmeisterschaften bleiben viel zu große, viel zu teure Stadien, die kaum genutzt werden können. Mit gesundem Wachstum oder Stärkung der Länder hat das nichts zu tun.
Brasilien hat das nach zwei sportlichen Großereignissen in den letzten vier Jahren schmerzhaft merken müssen. Auch wenn sich die Menschen in Rio über ein besser funktionierendes Nahverkehrsystem freuen dürfen, kann dies nicht über den Abriss zahlreicher Favelas hinwegtäuschen. Zudem verrotten schon jetzt, gerade mal zwei Jahre nach den olympischen Spielen zahlreiche Sportstätten.
Auch rein finanziell gehen die Länder mit keinem Plus aus den Veranstaltungen raus. Denn die Gewinne streicht der Ausrichter, sprich die FIFA ein. Natürlich erwidert der Verband, man würde die Länder dafür ja auch finanziell unterstützen. Brasilien hat für die WM 2014 über zehn Milliarden Euro an Ausgaben gehabt. Diese Ausgaben sind unterm Strich nicht ansatzweise gedeckt worden. Auch die Wirtschaft ist nicht nennenswert gewachsen. Dem gegenüber hat der Fußballweltverband einen dreistelligen Millionenbetrag an Gewinn zu verbuchen. (Quelle #Q1)
PROBLEM FIFA
Ein Name, wie ein Synonym für Intrigen und Korruption. Die Hürde eine WM in sein Land zu holen sind hoch. Ein transparentes Bewerbungsverfahren muss durchlaufen werden und mit Argumenten und Konzepten müssen die Mitbewerber ausgestochen werden. Klingt nicht nach der FIFA? Ist es auch nicht. Letztendlich entscheidet die Höhe der Bestechungsgelder und die Anzahl der bestochenen Funktionäre. Wer sollte es besser wissen, als der DFB und Deutschland, wo unser Sommermärchen 2006 doch ziemlich unverschämt erkauft wurde. Durch diese Korruption lässt sich auch einfach erklären, warum politische Bedenken nicht zählen. Natürlich geht es der FIFA nur um die Sache. Und mit Sache meinen sie Fußball. Und mit Fußball meinen sie Geld.
PROBLEM “PARTY-PATRIOTISMUS”
Schwarz-Rot-Gold überall. An Autos, auf den Verpackungen meiner Lebensmittel, ja selbst Blumen werden zur WM mit Schwarz-Rot-Gold überzogen. Siehe Tweet von Alexandra Pater. “Endlich kann man mal wieder stolz auf sein Land sein.” Es gibt einen “unverkrampften, harmlosen und weltoffenen Patriotismus” (#Q5). Aber genau das kann Patriotismus nun mal nicht sein. Patriotismus ist der Stolz auf (m)eine Gruppe und deren Errungenschaften. So positiv und weltoffen diese Errungenschaften auch sein mögen, mit dem definieren einer Gruppe werden andere Menschen ausgegrenzt. Ich will der Masse der Menschen nicht unterstellen, dies zu wollen. Sie nimmt es aber billigend in Kauf.
Auch ich werde mir die Spiele vom DFB-Team anschauen. Nur halt ohne dabei die Farben Deutschlands zu tragen. Schließlich unterstütze ich kein Land sondern ein Team. Um es mit den Worten von Jamila zu sagen: “Man könnte die Mannschaft auch mit DFB-Fahne unterstützen” (#Q4).
So wie ich mich kenne, werde ich mir, sofern zeitlich möglich, jedes Spiel der WM anschauen. Obwohl ich weiß, dass ich damit ein autokratisches Regime legitimiere und eine korrupte Organisation unterstütze. Beim Fußball ist man halt gut im ignorieren. Gerade deswegen werde ich mir aber auch die kritischen Berichterstattungen anschauen. Es fühlt sich an, wie ein Ablasshandel, aber wenn wir daraus politische Ziele formulieren und diese dann auch nach den vier Wochen Fußball noch umsetzen, dann hat es zumindest ein bisschen was gebracht.
Ich muss an dieser Stelle wohl kaum erwähnen, dass diese Woche die Fußball Weltmeisterschaft der FIFA beginnt, dennoch ist es für den Kontext dieses Blogs nicht ganz unerheblich. Brasilien, Frankreich und viele Länder aus Afrika stehen für Nationalstolz Präsentation zur WM wie keine anderen. Auch wir Deutschen probieren uns seit DER WM 2006 in bedingungsloser und voller Unterstützung unserer Nationalelf.
Da wären einerseits, die aufdringlichen Aktionen der
Unterstützer, wie zum Beispiel eine Sonderausgabe der Bild zur WM, kostenlos in jeden Haushalt oder die Werbeaktionen von Supermärkten, Diskotheken, Bars, Gaststätten, Elektronikfachhändler, Schreibwarengeschäften, Euro-Shops, Fast Food Ketten, Getränkeherstellern, Zeitschriften, Autohändler … (wer wirbt eigentlich nicht mit der WM?!) Andererseits die persönlichen und weniger aufdringlichen Unterstützer, die mit Autofähnchen, Seitenspiegelhüllen oder Trikots die Mitmenschen freundlich darauf aufmerksam machen, dass derzeit die WM stattfindet und sie „Jogis-Jungs“ unterstützen.
Und irgendwie dazwischen sind diese Pseudostars und Sternchen, die mit ihrem verhaltenen Internet Erfolg, der größtenteils auf Häme und Spott gründet, den Durchschnittsbürger belästigt. Auf dieselbe Stufe sind die Fußballexperten und Stars zu setzten die sich dazu hinreißen lassen einen Gastauftritt in diesen Massenverblödungswaffen anzunehmen. Beide Arten von „offiziellen WM-Songs“ vereinen nervige düddeldü Melodien mit durchaus verbesserungswürdigen Sängern und Texten die immer olé, Schland, und Titel enthalten. Und man sollte nicht denken, dass Ruhm vor Spott schützt. Fragen sie mal den „Kaiser“ Franz Beckenbauer nach dem ganz dicken, dicken Ding.
Das diese WM-Songs alle vier Jahre aufs Neue produziert werden wäre ja nicht das Problem, wenn diese Supports nicht überall frenetisch gefeiert werden würden. Nur wir Deutschen haben uns scheinbar das Attribut Nationalstolz vor acht Jahren mit WM-Songs angeeignet. Nur damals waren es noch gute handgemachte Lieder wie „54, 74, 90, 2006“ von den Sportfreunden Stiller und „Zeit das sich, was dreht“ von Herbert Grönemeyer. Nun hören wir „Aische pervers“ und „Putenfett“… Wo haben wir uns nur hin entwickelt?